Interkontinentale Grüne Transitkorridore

USA und EU wollen China und Russland aus Westasien zurückdrängen

Am Rande des G-20-Treffens in Neu-Delhi haben die USA und Saudi-Arabien eine Absichtserklärung für die Erstellung „eines Protokolls“ über die Entwicklung von „Interkontinentalen Grünen Transitkorridoren“ durch Saudi-Arabien unterzeichnet.

1694680884

USA und Saudi-Arabien beschließen die Entwicklung von „Interkontinentalen Grünen Transitkorridoren“. Auf dem G-20-Gipfel in Neu-Delhi, 9. Septemeber 2023.
Foto: Premierministerium Indien Lizenz: GODL, Mehr Infos

Ziel ist es, Indien über die arabische Halbinsel mit Europa zu verbinden, hieß es in einer gleichlautenden Erklärung von Saudi-Arabien und den USA (am 9.9.2023).

Das Projekt soll demnach „die Energiesicherheit erhöhen, die Entwicklung sauberer Energie unterstützen, die digitale Wirtschaft durch digitale Konnektivität und Datenübertragung über Glasfaserkabel fördern und den Handel und den Transport von Gütern auf der Schiene und über Häfen unterstützen“, hieß es. Bestehende Kabel-, Pipeline- und Schienennetze sollen ausgebaut, Hafenkapazitäten erweitert werden. Die USA werden zudem die „Umsetzung der Grünen Korridore“ sowie die „Verhandlungen mit den beteiligten Staaten unterstützen“.

US-Präsident Joe Biden sprach nach der Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding” (MOU) von einem „wirklich großen Deal”, mit dem Häfen über zwei Kontinente verbunden werden sollten. Das werde zu einem „stabilen, wohlhabenderen und integrierten Mittleren Osten“ führen, so Biden.

Grüne Korridore: Neues Projekt der Spaltung

Weite Teile des Mittleren Ostens (Westasiens) allerdings bleiben bei der Vereinbarung außen vor. Bei den beteiligten Staaten handelt es sich neben Indien und Saudi-Arabien um die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Israel. Weder Jemen noch Irak, Syrien oder Libanon oder die kleineren Golfemirate kommen dabei vor. Auf der europäischen Seite sitzt die EU-Kommission, die mit „grünen Korridoren“ und ihrem 300 Milliarden Euro-Projekt „Global Gate“ den Einfluss Chinas und Russlands in Zentral- und Westasien und international zurückdrängen will. Gemeinsam mit Washington will Brüssel konkret Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien in das Projekt einbinden, um deren weitere Annäherung an China und Russland durch ihre Mitgliedschaft bei OPEC Plus, BRICS Plus und deren Neue Entwicklungsbank sowie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit zu durchkreuzen.

Auf Distanz zu Ost und West

Indien, das wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Distanz zu den Großmächten USA und China bleiben wollen, zeigte sich hoch erfreut über die US-EU-Zusage, einen Ost-West-Transportkorridor über Westasien nach Westeuropa zu fördern. Ausaf Sayeed, Mitarbeiter im indischen Außenministerium, erklärte vor Journalisten in Neu-Delhi, es seien nicht nur seeseitige Verbindungen zwischen Häfen, sondern auch Zugverbindungen in Planung. Unklar blieb allerdings, wie Züge von der arabischen Halbinsel über den Indischen Ozean nach Indien gelangen sollen.

Über den „Grünen Korridor“ nach Europa hinaus verhandelten Indien und Saudi-Arabien ihren bilateralen Handel in lokaler Währung unabhängig vom US-Dollar abzuwickeln. Auch ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und dem Golfkooperationsrat ist im Gespräch. Zu den acht Abkommen, die beide Länder am Rande des G20-Treffens unterzeichneten, gehört die Erweiterung der Zusammenarbeit zu einer umfassenden Energiepartnerschaft für erneuerbare Energien, Erdöl und strategische Reserven. Saudi-Arabien gehört zu den größten Erdöllieferanten für Indien. Das Königreich plant Investitionen in Indien im Wert von 100 Milliarden US-Dollar, u. a. für den Bau einer Raffinerieanlage. Beide Länder wollen zudem im Bereich der Raumfahrt, Halbleiterherstellung und Rüstungsgüter enger zusammenarbeiten.

Wettlauf um Transportwege

Der saudische Minister für Investitionen, Khalid Al Falih, erklärte ebenfalls in Neu-Delhi, das Projekt der „Grünen Korridore“ werde wie einst die Seiden- und Gewürzstraßen den globalen Handel „neu ausbalancieren“. Die historische Seidenstraße durchkreuzte Westasien von Ost nach West und umgekehrt seit dem 5. Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung, die Handelsbeziehungen zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer über die Gewürzstraße geht zurück auf vorislamische Zeit.

Seit 2013 hat China mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße mehr als sechzig Länder in Asien, Afrika und Europa zu Land und zu Wasser verbunden. Indien hatte bisher unabhängig davon nach einer Ost-West-Verbindung nach Europa gesucht. Gemeinsam mit Russland und Iran gründete Indien 2002 das Projekt für die Entwicklung eines Internationalen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC), einem Netz aus Seewegen, Schienen- und Straßenverbindungen, das Mumbai (Indien), den Indischen Ozean, Iran mit dem Hafen Tschahbahar, Aserbaidschan, dem Kaspischen Meer und Russland verbindet. Dem Projekt gehören neben Indien, Iran, Aserbaidschan und Russland auch Kasachstan, Armenien, Belarus, Tadschikistan, Kirgistan, Oman, Ukraine und Syrien an.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Russland hat die Fertigstellung der Nord-Süd-Eisenbahnlinie von Sankt Petersburg in den Iran und von dort nach Mumbai trotz Syrien- und Ukraine-Kriegen vorangetrieben und so eine Alternative zum Seeweg zwischen dem Indischen Ozean, den arabischen Golfstaaten durch den Suez-Kanal nach Europa geschaffen. Die Eisenbahnverbindung ist 7200 Kilometer lang und so angelegt, dass von ihr nicht nur Verbindungen in Eurasien, sondern auch mit dem Neuen-Seidenstraßen-Projekt ausgebaut werden können.

 

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Rissiges Netzwerk Ohne Russland, ohne große Namen: WEF 2023 ein Reinfall?