Ukraine-Krieg

Propaganda in Kriegszeiten

Hintergrund-Medienrundschau vom 14. April 2022

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(Redaktion/14.4.22) Der Krieg ist die Blütezeit der Propaganda. Das war schon immer so. Der britische Diplomat Arthur Ponsonby beschrieb 1928 die „Lüge in Kriegszeiten“. Sein Buch hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Insbesondere seitdem Anne Morelli die Darstellung 2004 in „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ weiter systematisiert hat (siehe hierzu Matthias Bröckers, telepolis, 29.7.14). Schauen wir anhand der zehn Punkte, die laut Morelli und Ponsonby das Wesen der Propaganda in Kriegszeiten darstellen, einmal auf die Berichterstattung über den aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Vor allem auf die vergangenen zwei Wochen.

Wir schauen dabei in die deutsche Berichterstattung und damit auf die Beteiligung der Nato und der ihr mehr oder (in seltenen Fällen) weniger folgsamen Medien am Krieg. Die Lieferung von Kriegswaffen und Sanktionen, das sind zwei Aspekte, an denen wir die Beteiligung Deutschlands, der EU und der Nato festmachen können. Alle zehn Punkte, die wir im folgenden mit aktuellen Beispielen versehen, wären sicherlich auch in der russischen Berichterstattung zu finden.

1. „Wir wollen den Krieg nicht.“
Was haben Deutschland und die Europäer für die Umsetzung des Minsker Abkommens getan? Eine Frage, die man immer noch stellen sollte. Die aber vermutlich aus mehreren Gründen nicht gestellt wird. Zum einen weiß kaum jemand genaueres und zum anderen müsste die Aussage, dass „wir“ den Krieg nicht wollten, relativiert werden. Denn „wir“ haben eben nicht genug (vielleicht sogar eher: nichts) getan, um die ukrainische Regierung zur Einhaltung des Abkommens zu bewegen (Pressenza, 5.4.22). „Wir“ haben bei der Einkreisung Russlands mitgemacht, den Wunsch nach Sicherheitsgarantien ignoriert (Ialana, 29.3.22) und im Februar möglicherweise auch die letzte Chance, den Krieg noch zu verhindern, nicht genutzt („wir“ ist in diesem Fall der Kanzler). Das Letztgenannte vermutet Rainer Rupp nach der Lektüre eines Textes im Wallstreet Journal (RT DE, 7.4.22). Wir lassen das erst einmal so stehen. Übrigens: Wer wissen will, wie und wo er gerade Texte der „Gegenseite“, also von RT lesen kann, abonniert am besten den RT-Newsletter oder installiert die App, schließlich ist die Website stetig der Zensur ausgesetzt.

2. „Das gegnerische Lager trägt die alleinige Verantwortung für den Krieg“
Der Krieg ist Putins Krieg. Dass die Politik der Nato ein Grund für die Eskalation sein könnte, darüber wird derzeit sogar im heterogenen Lager der Friedensbewegung heiß diskutiert (nd, 13.4.22). Beispielsweise in Hamburg gibt es Kritik an der Sicht des „Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung“ (schon der Name…). In deren Flugblatt zum bevorstehenden Ostermarsch ist doch tatsächlich die Rede davon, dass der Krieg bereits vor dem 24. Februar begonnen hat. Einige Stimmen aus Linkspartei und Gewerkschaften distanzieren sich, die Organisationen selbst rufen zum Ostermarsch in Hamburg auf (taz, 13.4.22). Eine Übersicht über die Ostermärsche gibt es übrigens hier.

3. „Der Führer des Gegners hat dämonische Züge (,der Bösewicht vom Dienst‘).“
Was wird nicht alles über Putin geschrieben. An vorderster Front in alter Springer-Tradition „Die Welt“ (das ist durch die US-Übernahme nicht besser geworden, natürlich nicht). Putin sei „faschistoid, weltfremd und ein menschenverachtender Diktator“, schreibt Felix Eisch (Die Welt, 13.4.22, Bezahlschranke). Er zeigt Parallelen zu Iwan dem Schrecklichen (RND, 13.4.22), sei ein Versager, dem der Größenwahn den Blick auf die Realität verstellt (n-tv, 6.4.22). Mittlerweile ist es nicht nur Putin. Bei Markus Lanz (watson.de, 14.4.22) wurden am Dienstag pauschal alle Russen abgewertet, womit sich Flaurence Gaub laut Marcus Klöckner die Pole Position im Russen-Bashing gesichert hat (Nachdenkseiten, 14.4.22). Wer versucht sie zu toppen? Und wie? Wollen wir das wissen?

4. „Wir kämpfen für eine gute Sache.“
Das Buch von Paul Schreyer und Mathias Bröckers ist nach wie vor lesenswert: „Wir sind die Guten“. Genau so agieren die westlichen Medien und Politiker. Putin (natürlich, der Krieg ist ja seiner) dürfe nicht gewinnen. Das sagt beispielsweise der Grüne Oberkriegshetzer – dies war gerade eine Meinungsäußerung – Ralf Fücks (t-online.de, 13.4.22). Schließlich kämpfe die Ukraine für „unsere Sicherheit und Freiheit“. Herzlichen Dank auch, sagen all die Toten der Kriege der USA und der Nato, die für „unsere Sicherheit und Freiheit“ drauf gegangen sind. Wenn „wir“ kämpfen, ist es halt immer gut. Einen ganz besonders hetzerischen Artikel hat übrigens der ARD-Hauptstadtkorrespondent Kai Küstner verzapft. Putin dürfe unter keinen Umständen gewinnen, denn das „Massaker von Butscha“ (dazu gleich mehr) beweise, dass er auf „Auslöschung, auf Vernichtung einer Nation, womöglich auf einen Genozid“ aus sei. Gäbe es eine Auszeichnung für den „Hetzer des Tages“, Küstner hätte ihn vor zehn Tagen verdient (ARD, 4.4.22).

5. „Der Gegner kämpft mit verbotenen Waffen.“
Die Chemiewaffen dürfen nicht fehlen (ZDF, 12.4.22). Warum sie in Mariopol eingesetzt werden sollen, während Russland kurz vor der Eroberung der Stadt steht, ist nicht ganz logisch. Die ARD versucht sich da immerhin an einer realistischen Einschätzung, was ja nicht unbedingt die tägliche Praxis des „Faktenfinders“ ist (tagesschau.de, 12.4.22). Thomas Röper, der zum Zeitpunkt des angeblichen Einsatzes von Chemiewaffen vor Ort in Mariupol war (anti-spiegel.ru, 14.4.22), schreibt, dass dies unmöglich der Fall gewesen sein kann (anti-spiegel.ru, 12.4.22). Es könne nichts aktuell aus der Stadt heraus berichtet werden, sagt er. Die Stadt sei vollkommen zerstört, es gebe keine Kommunikationsmöglichkeit.

6. „Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, bei uns handelt es sich um Irrtümer aus Versehen.“
Wer nur die Frage stellte, ob es sich in Butscha wirklich um russische Kriegsverbrechen handelte, der bekam und bekommt es gleich mit der geballten Meute aus Social-Media-Hetzern, Faktencheckern und aufgebrachten Bürgern zu tun. Hierzu an dieser Stelle kein Link. Das Herz. Wir wollen uns nicht noch weiter aufregen. Nur zwei Hinweise zu besonnenen Stimmen in den alternativen Medien, die für Entschleunigung plädieren (Neulandrebellen, 6.4.22) oder erst einmal gar nichts schreiben (und die Kollegen mit recht kritisieren) (Nachdenkseiten, 4.4.22). Aufs Ganze betrachtet gibt es verstärkt Vorwürfe von Gräueltaten (bis hin zum „Völkermord“) der Ukrainer gegenüber den Russen, fasst Rainer Lauterbach zusammen (Junge Welt, 13.4.22).

7. „Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm.“
Wie oft ist die Rede davon, wie schlecht Russland dasteht. Der Krieg sei verloren (n-tv, 5.4.22), Putin isoliert (an der Seite von Staaten wie Indien und China, nun ja). Ein realistischeres Bild zeigt vermutlich der Schweizer Ralph Bosshardt (Nachdenkseiten, 8.4.22). Der Autor war früher Oberstleutnant der Schweizer Armee.

8. „Angesehene Persönlichkeiten, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache.“
Die ukrainische Flagge bei Facebook, Twitter oder im eigenen Garten. Jeder kann gratis bzw. für den Preis einer Fahne – auf Wunsch war das kurzfristig auch mit Nazi-Symbol möglich (bw24.de, 13.4.22) – seine ach so mutige Unterstützung der Ukraine bekennen. Es gibt Prominente, die sich einsetzen. Keine Frage. Sie nehmen Flüchtlinge auf, mieten ein Hotel wie Carsten Maschmeyer oder spenden Geld (RND, 8.4.22). Aber für die Propaganda passt es. Und ein kleines gutes Lichtlein wirft es dann ja auch noch auf die Betreffenden.

9. „Unsere Mission ist heilig.“
Das „wir“ die Guten sind, hatten wir schon. Mit einer heiligen Mission ist es heute nicht so weit her in der säkularisierten Gesellschaft, allerdings haben sich die Kirchen nicht nur hinter die Kriegstreiber des Westens gestellt (parallel steht die russische Orthodoxie hinter ihrer Regierung). Sondern sie befürworten teilweise sogar die Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, wie beispielsweise der ehemalige leitende Militärbischof in einer Diskussion mit Margot Käßmann (die weiter gegen Waffenlieferungen ist) (Zeit, 13.4.22, Bezahlschranke). Ansonsten geht es natürlich entweder um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit. Am besten alles drei. Die heiligen Kühe der aktuellen Diskussion.

10. „Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, steht auf der Seite des Gegners und ist ein Verräter.“
Selbstverständlich unterstützen alle, alle, alle „uns“. Gegen Putin. Für die Ukraine. Wer dies nicht tut, ist ein „Putin-Versteher“. Also fast schon selbst ein Unmensch (siehe Punkt 3). Neben Gerhard Schröder und weiteren SPD-Politikern (Focus, 8.4.22) gibt es viele weitere Kandidaten. AfD-Politiker oder Sahra Wagenknecht zum Beispiel. Also die üblichen Verdächtigen (oder sind es nicht schon Täter?). Aktuell dazu gekommen ist der militärische Berater von Altkanzlerin Merkel. Brigadegeneral a.D. Erich Vad hat kritisiert, die Lieferung schwerer Waffen führe potentiell in Richtung dritter Weltkrieg. Man müsse verhandeln (RND, 12.4.22). Die allgemeine Kritik war ihm gewiss (RND, 12.4.22).

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Was fehlt? Die gute Laune. Nach so viel Propaganda. Leider offenbar auch der Wille zu Verhandlungen. Und (neben vielem anderen) ein interessanter Text der „Welt“. Die dem allgemeinen Mainstream-Narrativ in Sachen Corona zuweilen etwas entgegen setzt. Am Dienstag einen Text zur Kampagne „Ich habe mitgemacht“. Er verschwand nur wenig später, weil er den „Qualitätsstandards“ nicht entsprochen habe. Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen. Denn der gelöschte Text liegt archiviert vor (archive.ph, 12.4.22). Spoiler: Wir sehen keine journalistischen Standards verletzt. Sogar die Gegenseite war angefragt, sie hatte nur nicht reagiert. Den Kritikern der Aktion kann man mit Tobias Riegel nur sagen: „Ja, ihr habt mitgemacht“ (Nachdenkseiten, 12.4.22).

Für heute enden wir mit diesem wiederum nicht besonders appetitlichen Thema unsere Medienrundschau. Dass wir von schlechten Nachrichten schreiben, bleibt nicht aus. Bleiben Sie uns dennoch gewogen, schauen Sie wieder rein und empfehlen Sie uns weiter. Zu sagen bleibt: Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Und senden Sie uns gerne Vorschläge für diese Rubrik: redaktion@hintergrund.de.

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