Rohstoffe

Die Russland-Sanktionen und die Schäden im globalen Süden

Der Krieg gegen die Ukraine gefährdet die Ernährungssicherheit weiter und verschärft die Hungersnot in vielen Regionen, vor allem im globalen Süden. Das wird allgemein befürchtet. Wahrscheinlich wird dort aber auch die oft blutige Ausbeutung von Rohstoffen und Energieträgern zunehmen – eine Folge der Sanktionspolitik gegen Russland.

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Steinkohle Tagebau in El Cerrejón (Kolumbien), einem der dem größten Bergwerk Lateinamerikas Steinkohle Tagebau in El Cerrejón (Kolumbien), einem der dem größten Bergwerk Lateinamerikas
Foto: Tanenhaus Lizenz: CC By, Mehr Infos

Die Ampel-Koalition ist durch ihre Embargo-Politik gegen Russland in größter Verlegenheit. Wie den Energiebedarf für die nächste Zeit sichern? Nach der Reisediplomatie unseres Wirtschaftsministers hat sich der Kanzler seinerseits ins Zeug gelegt und Anfang April zum Telefon gegriffen, um beim kolumbianischen Präsidenten Duque wegen zusätzlicher Kohlelieferungen anzufragen.

Dabei sind die Kohleimporte aus Kolumbien – nach USA und Russland bislang der drittgrößte Steinkohlelieferant – schon seit Jahren in der Kritik; denn die Kohle wird dort ohne Rücksicht auf Natur und Menschen im Tagebau abgebaut. Die Abbaugebiete El Cesar und La Guajira liegen beide im Nordosten des Landes. In der Minenregion El Cesar sind fast 60.000 Einwohner durch nackte Gewalt und Drohungen, oft mit falsche Versprechungen vertrieben worden. In La Guajira haben indigene Gemeinden inzwischen gegen die Erweiterung des größten Tagebaus El Cerrejón, die auch die Umleitung von Flüssen erfordern würde, geklagt. Nach dem Anruf von Scholz bekamen sie, wie unter anderem die Tagesschau berichtete,1 die Mitteilung vom kolumbianischen Umweltministerium, dass sie mit der Erweiterung des Tagebaus rechnen müssten. Das alarmierte Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten.

Nach dem Wahlsieg des linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro ist die zügellose Ausbeutung der „Blutkohle“ zwar in Frage gestellt.2 Aber dessen ungeachtet beleuchtet der Vorgang Praktiken der Enteignung und Vertreibung, die dem Energie- und Rohstoffhunger des Nordens geschuldet und überall im globalen Süden verbreitet sind. Beim Kohleabbau in Kolumbien herrscht große Willkür. „Ist das Kohleaufkommen in einer Grube erschöpft, werden neue Gruben geöffnet. Die Menschen, die in der Nähe der Mine wohnen, müssen in diesen Fällen ihren Wohnsitz verlassen […] Außerdem kommt es wiederholt zu Vertreibung, Einschüchterungen und Mord, sollte sich die Bevölkerung gegen die Umsiedlung wehren.“3 Es wurden nicht nur die Bewohner vertrieben. Wasserraub und Verseuchung von Wasser und Böden vernichten die Existenzgrundlagen vieler Menschen. Die traditionelle bäuerliche Subsistenzwirtschaft wird unmöglich gemacht. Wer nicht weichen will, muss um sein Leben fürchten. Unternehmen setzen teilweise paramilitärische Einheiten ein. Die Arbeitsbedingungen in diesen Kohleminen wären ein eigenes Kapitel.4

Bergbau und Vertreibung

Neben dem berüchtigten Land Grabbing, angetrieben durch die Wertsteigerung landwirtschaftlicher Flächen und die erlahmte Investitionstätigkeit im industriellen Sektor, werden durch den Bau von Mega-Staudämmen und durch Bergbauprojekte zunehmend Menschen vertrieben – und zwar gehäuft im globalen Süden. Die direkten Menschenrechtsverletzungen werden durch die ökologischen Verheerungen meist noch gesteigert. Denn der Bergbau bedingt eine enorme Luftverschmutzung, wenn der Emissionsschutz nicht gesetzlich geregelt ist. Und die Mineralien können in der Regel nur mit einem exorbitanten Wasserverbrauch gewonnen werden.

Hierzu einige Beispiele aus Lateinamerika und Afrika: In Guatemala wird seit 2014 am See Izabal von der Schweizer Solway Group Nickel abgebaut. Indigene Maya-Gemeinden, darunter Fischer, protestieren seit Jahren. Die Menschen klagen über Atemwegserkrankungen und Hautausschläge. Umsiedlungen sind geplant.5 Im Süden von Ecuador, in der Provinz Azuay, wurden Goldminen erschlossen. Das Gold wird mittels Zyanid extrahiert. Spätestens seit 2017 klagen die Anwohner über die Verschmutzung ihrer Flüsse und das Verschwinden von Quellen.6 In Honduras hat der Bergbau, auch meist Tagebau, „ehemals fruchtbare, landwirtschaftlich stark genutzte Regionen… in trockene, wüstenähnliche Landstriche“ verwandelt, so die Anklage von Carlos Padilla Roiz vom Zentrum zur Förderung kommunaler Entwicklung. Mehrere Flüsse sollen ausgetrocknet sein. Transnationale Unternehmen bauen Eisenerz, Gold, Silber und Antimon ab.7 Antimon steht unter Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Es wird in Flammschutzmitteln und Batterien verarbeitet.

Zunehmend nachgefragt wird das Alkalimetall Lithium, das für die Informationstechnologie und den E-Antrieb gebraucht wird. Auch Windkraftanlagen und Lithium-Ionen-Akkus brauchen Lithium, das in den Salzseen der Anden im Dreiländereck Bolivien-Chile-Argentinien vorkommt. Die Gewinnung des Stoffs ist mit extremem Wasserverbrauch verbunden; denn das Lithium wird durch Verdunstung aus dem Salzwasser gewonnen. Was schon in weniger trockenen Gebieten die Umwelt belasten würde, hat in der Atacama-Wüste, wo die Lithium-Vorkommen konzentriert sind, verheerende Folgen. Das empfindliche Ökosystem der Hochanden wird damit zerstört, weil der Grundwasserspiegel abgesenkt wird mit der Folge, dass die Böden versalzen und die Vegetation vertrocknet, was die heimische Landwirtschaft beeinträchtigt und auf lange Sicht unmöglich macht. Neben Wasserknappheit kann es zur Verschmutzung des Wassers durch Chemikalien kommen, so dass die Brunnen verseucht sind.8 Die Bewohner der Dörfer im Umland sind gezwungen, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben und irgendwann das Land zu verlassen. Inzwischen kommt es zu Protesten gegen den Wasserraub. Am schlimmsten betroffen von der Lithium-Förderung sind die noch eher traditionell lebenden indigenen Gemeinden im Norden Argentiniens.

Krankheit und Umweltzerstörung

In Guinea wurde eine Gemeinde umgesiedelt, um die Bauxit-Mine Sangaredi der „Compagnie des Bauxites Guinée“, des zweitgrößten Bauxit-Exporteurs der Welt, zu erweitern. Zur Erweiterung der Mine hat auch die frühere Bundesregierung mit einer Ungebundenen Finanzkreditgarantie beigetragen. Neben dem von der Umsiedlung betroffenen Ort beklagen zwölf Gemeinden in der Region „Landraub und Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen. Denn Flüsse versiegen, die Artenvielfalt schwindet… Roter Staub zerstört Äcker und Gärten, Menschen werden krank.“9

Schon seit mehr als einem halben Jahrhundert zerstört die Förderung von Erdöl und Erdgas die Lebensgrundlagen von menschlichen Gemeinschaften, und zwar wiederum meist in den Ländern des globalen Südens, wo staatliche Kontrolle und Regulierung fehlen oder versagen. Berüchtigt ist die verheerende Ölpest im Niger-Delta, wo über die vergangenen 50 Jahre schätzungsweise zwei Millionen Tonnen Rohöl versickert sind und das Öko-System zerstört haben. Irreparable Schäden. Schuld sind mangelnde Wartung von Pipelines und Bohrinseln.10

Die Ölverseuchung des Regenwaldes in Ecuador ist dadurch ruchbar geworden, dass der damalige Präsident der internationalen Staatengemeinschaft den Deal angeboten hat, Ecuador werde auf Bohrungen im Regenwald verzichten, wenn der finanzielle Verlust kompensiert würde. Ein vergeblicher Vorstoß. In der Provinz Sucumbios im Nordosten von Ecuador hatte der US-Konzern Chevron über Jahre Milliarden Liter Ölabfälle im Amazonas-Regenwald entsorgt. Flüsse und Böden sind verschmutzt und verseucht. Eine Vereinigung der Bewohner klagte ab 1993 gegen die Firma und erreichte, dass der Oberste Gerichtshof Ecuadors den Konzern wegen schwerer Umweltverschmutzung zu einer Geldstrafe in Milliardenhöhe verurteilte. Bilder aus der Region zeigen, dass die Verschmutzung nur etwas reduziert werden konnte. Nach dem Scheitern des erwähnten Deals begann der Staatskonzern Petroamazonas mit der Förderung von Öl im Yasuni-Nationalpark.11

Nachdem 2010 im Nordosten Mosambiks unterseeische Erdgasfelder entdeckt worden waren, wurden mehrere hundert Familien von ihrem Land und ihren Fischgründen vertrieben, um für drei Gasförderprojekte von Total, Eni und Exxon Mobil Platz zu machen. Militär wurde eingesetzt. Human Rights Watch verzeichnete gravierende Menschenrechtsverletzungen, darunter Entführung, Folter, Einschüchterung.12

Der nach dem Russland-Embargo exponentiell steigende Ersatzbedarf der EU-Staaten wird die Anstrengungen zur Erdgasförderung verstärken, mit den entsprechenden sozialen und ökologischen Folgen. Spannend wird sein, ob man ab 2023, wie von der EU-Kommission beschlossen, schrittweise auf Treibstoff aus Palmöl verzichten wird. In Liberia zum Beispiel haben sich internationale Unternehmen aus Malaysia, Indonesien und Großbritannien Landflächen für Ölpalmpflanzungen angeeignet, die ein Drittel des nationalen Territoriums ausmachen. Auch der Umstieg auf Erneuerbare Energien und E-Antrieb ist nur scheinbar umweltverträglicher und menschenfreundlicher. Denn dafür braucht es Lithium und andere Mineralien, an denen Europa (mit Ausnahme von Russland) arm ist.

Endnoten

5 Mitteilungsblatt der NGO FIAN, FoodFirst 2/22, S.8

6 FoodFirst 4/19, S.8

7 Interview in junge Welt v. 15.03.22, S.2

8 Susanne Götz am 30.04.19 im Deutschlandfunk

9 Roter Staub, in: der Freitag Nr.6 v. 11.02.21, S.8

11 Auernheimer, Georg (2021): Wie gesellschaftliche Güter zu privatem Reichtum werden. Über Privatisierung und andere Formen der Enteignung. Köln, S.29

12 Junge Welt v. 17./18.07.21

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Der Autor

Georg Auernheimer war bis zu seiner Emeritierung Professor für Interkulturelle Pädagogik an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Seitdem arbeitet er als politischer Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Wie gesellschaftliche Güter zu privatem Reichtum werden. Über Privatisierung und andere Formen der Enteignung“ (PapyRossa, 2021).

Zuletzt erschien von ihm auf hintergrund.de: Acht Jahre Krieg, Schwierigkeiten des Nation Building – Der Fall Ukraine, Die Ukraine als umworbene und getäuschte Braut

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